Zusammen bauen wir ein NesT

Zusammen bauen wir ein NesT

Kann Integration besser gelingen, wenn viele mit anpacken? Eine Gruppe Ehrenamtlicher aus Nürnberg geht seit 2021 einen alternativen Weg, um einer Flüchtlingsfamilie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland zu ermöglichen.

Elke Feld, Initiatorin und Mentorin

Mir ist bewusst geworden, dass Millionen Menschen noch immer auf der Flucht sind und viele in einem Erstzufluchtsland, in einem Flüchtlingslager festsitzen, weil sie nicht das Geld für Schleuser haben und nicht aus eigener Kraft nach Europa kommen können. Ich dachte, es muss doch möglich sein, dass gerade die Schwächsten die Chance auf einen Neustart bekommen. Man könnte auch sagen, dass ich Nächstenliebe praktisch leben wollte.

Ich habe angefangen, Leute in unserem Begegnungscafé für Geflüchtete anzusprechen – Deutsche, Frauen und Männer mit Fluchterfahrungen und Leute, die Arabisch sprechen. Ich habe Menschen gesucht, die gemeinsam im Team jemandem einen Neustart in Deutschland ermöglichen wollen. So ist unsere Mentorengruppe entstanden. 

Mein Rat an zukünftige Mentor:innen? Ich denke, es ist gut, sich drauf einzustellen, dass nicht alles glatt laufen wird. Wir Deutschen haben gerne alles geregelt und geplant. Für dieses Projekt sollte man jedoch Gelassenheit und auch Flexibilität mitbringen.

Ein kulturelles Kompetenztraining im Vorfeld bzw. Erfahrungen im Umgang mit fremden Kulturen sind für das Projekt von Vorteil. Manche Kulturen gehen zum Beispiel anders mit Konflikten um, d. h. Dinge werden aus bestimmten Gründen nicht offen angesprochen. Wir Deutschen sind da oft sehr direkt und können mit unserer Direktheit Menschen verletzen. Das zu wissen, ist hilfreich. Uns hat geholfen, dass wir schon lange mit unterschiedlichen Kulturen arbeiten und dadurch nicht in jedes Fettnäpfchen treten.

Edgar Feld, Unterstützer der Mentorengruppe

Ja, wie ist das Zusammenleben unter einem Dach? Wir sehen uns nicht jeden Tag, aber mehrmals in der Woche. Dann arbeiten wir manchmal zusammen im Garten oder wir sehen gemeinsam die Post durch. Es gibt immer wieder Berührungspunkte im Alltag. Und es war von Anfang an ein gutes Miteinander, wir schätzen uns gegenseitig sehr.

Es gibt viele Dinge, wie z. B. Gastfreundschaft, die wir von Geflüchteten lernen können. Die Familie Bahar ist sehr emphatisch und findet immer wieder Ansätze, wie sie uns oder die Hausgemeinschaft unterstützen können. Das beeindruckt mich sehr. Flexibilität ist ebenfalls etwas, dass wir uns mehr aneignen könnten.

Die kleine Rayan hat, besonders am Anfang, eine Brücke zwischen der Familie und uns geschlagen, sie hat das Eis gebrochen und uns dabei geholfen, Herzensnähe zu entwickeln.

Hier: Elke Feld (Initiatorin der Mentorengruppe) und Edgar Feld (Unterstützer der Mentorengruppe) wohnen mit der jungen Familie Bahar zusammen in einer Hausgemeinschaft.

Alsadig Bahar, Geflüchteter

Wir haben gespürt, dass wir willkommen sind und haben viel mehr bekommen als wir erwartet haben, vor allem menschliche Wärme. Die Mentorengruppe unterstützt uns sehr, z. B. mit der Wohnung, der Tagesmutter, der Bank und allem anderen, was wir benötigen. Das NesT-Programm ist sehr menschlich.

Mein Ziel ist, schnell Deutsch zu lernen und dann Arbeit zu finden. Ich möchte selbstständig werden, um nicht vom Staat abhängig zu sein. Für die Zukunft wünsche ich mir, meine Familie selbst versorgen zu können.

Rasheda Bahar, Geflüchtete

Als ich nach Deutschland kam, war einer meiner ersten Gedanken: Wenn ich besser Deutsch spreche, möchte ich auch Menschen unterstützen – so, wie wir von der Mentorengruppe unterstützt werden.

Fatima Sarah Alawi, jüngste Mentorin

Rayan spricht meine Sprache und ich versuche, ihr beim Spielen Deutsch beizubringen. Wir malen oder schauen uns Bücher an. Und es gibt ein Memory-Spiel mit Tieren, das wir oft spielen. Sie kennt jetzt schon von einigen Tieren die deutschen Namen. Darüber freue ich mich.

Hier: Fatima Sarah Alawi und Rayan Bahar.

Amira Alawi

Als wir 2013 nach Deutschland gekommen sind, haben uns viele Deutsche bei der Wohnungssuche, den Ämtern oder was auch immer unterstützt. Wir haben sehr viel Hilfe bekommen. Deshalb haben wir gedacht, vielleicht können wir als Mentor:innen in diesem Projekt etwas zurückgeben und auch eine Familie unterstützen.

Während sich die anderen Mentoren um alle Anträge gekümmert haben, konnte unsere Familie mit praktischen Dingen helfen, wie U-Bahn fahren, Lebensmittel kaufen, zum Kinderarzt gehen, ein Konto eröffnen, eine Tagesmutter finden, wir waren zusammen beim Jobcenter und haben uns die Stadt angesehen.

Ali Alawi

Wir wünschen ihnen (der Familie), dass sie so schnell wie möglich integriert sind, eine Ausbildung oder Arbeit finden und somit später die Chance haben, anderen Familien helfen zu können.

Hoda Ihnken

Als ich vor 31 Jahren, mit 19 Jahren, nach Deutschland kam, habe ich erlebt, wie es ist, wenn man in einem fremden Land lebt, wo man niemanden kennt. Ich war auf mich allein gestellt, lebte sehr zurückgezogen. Ich habe mir damals so sehr gewünscht, Menschen kennenzulernen.

Jeder in unserer Gruppe trägt seinen Teil zum Projekt bei. Ich übersetze, die anderen machen Papiere, die anderen gehen zum Ausländeramt, zum Jobcenter, Sparkasse oder zur AOK. Und was das Schönste ist, finde ich, jeder macht es von Herzen gerne.

Schon an ihrem zweiten Tag in Nürnberg habe ich die Familie besucht. Ich wollte ihnen zeigen: Da ist jemand, der eure Sprache spricht und euch versteht. Wenn du die gleiche Sprache sprichst, gibt dir das ein Gefühl von Sicherheit. Deutsch klingt dagegen, wenn man nicht versteht, was gesagt wird, manchmal bedrohlich. Ich wollte, dass sie sich hier sicher fühlen.

Wer Mentor:in werden möchte, sollte ein Herz für andere Menschen haben und den Wunsch, in Notsituationen, wie Krieg zum Beispiel, helfen zu wollen. Nicht das Ich ist wichtig, sondern Nächstenliebe. So fühle ich das.

Inge Zimmermann

Ich war selbst viel im Ausland unterwegs, daher kenne ich das Gefühl gut, in einem fremden Land zu sein und Unterstützung zu bekommen. Das war für mich der Grund, Mentorin zu werden. 

Durch den geteilten Alltag und den regelmäßigen Austausch bekommen wir Einblicke in die jeweils andere Kultur und können dadurch besser verstehen, wie der andere fühlt und wobei er vielleicht Unterstützung benötigt. Wir haben in der kurzen Zeit schon viel voneinander gelernt. Das Mitwirken im NesT-Projekt ist für mich auf jeden Fall eine Bereicherung. 

Warum es sich lohnt, im Projekt mitzuarbeiten? Neben der persönlichen Bereicherung durch den Kontakt mit anderen Menschen, denke ich, ist es vor allen Dingen die Aussicht, dass (die Familie) hier eine Zukunft hat und Hoffnung für ihr Leben. Daran ein Stück weit mitzuwirken, finde ich schön.

Ich glaube schon, dass die Verbindung zwischen der Familie und uns Mentoren bestehen bleibt. Jetzt steht die Verpflichtung bzw. die Verantwortung, die wir als Mentorengruppe eingegangen sind, noch eher im Vordergrund. Aber ich gehe davon aus, dass die Freundschaft über das Projektende hinaus bestehen bleibt.

Mentorengruppe Nürnberg
Hier: Elke Feld und Alsadig Bahar im Garten. Die Mentorin und die junge Familie Bahar aus dem Sudan wohnen zusammen in einer Hausgemeinschaft und verstehen sich sehr gut.